Geschichte Russlands
Broschur
2003. 2. Auflage 2010.
568 Seiten
ISBN 978-3-0340-0638-5
CHF 48.00 / EUR 43.00 
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Das Bild Russlands wird weithin von Klischees bestimmt. Heiko Haumann unternimmt es, seine Fragestellungen nicht an Vorurteilen, sondern an der Eigenart Russlands auszurichten. In seiner «Geschichte Russlands» stehen die Menschen und ihre Lebenswelten im Mittelpunkt. Von ihnen aus, ihrem Alltag, ihrem Denken, Fühlen und Handeln, das exemplarisch vergegenwärtigt wird, entfaltet er in kurzen Kapiteln die verschiedenen kulturellen Formen, sozialen Gliederungen, wirtschaftlichen Bedingungen und Herrschaftsverhältnisse. Die Darstellung vereint spannend geschriebene Erzählung mit wissenschaftlicher Analyse.
Das Buch gliedert sich in drei grosse Teile: Von den Anfängen der Geschichte bis zur Ausbreitung der Leibeigenschaft - Die Autokratie zwischen Erstarrung und Reform - Das Jahrhundert der Revolutionen. Ein Ausblick widmet sich dem mühsamen Neuanfang nach der Auflösung der Sowjetunion 1991. Die Vielschichtigkeit und Einflüsse der Erfahrungen und Initiativen, der Entwicklungen und Strukturen, der sozialen Bewegungen, Lebensformen und Wertvorstellungen werden ebenso deutlich wie die Spannungen zwischen Zentralismus und Dezentralisierung, zwischen Stadt und Land, zwischen Selbstverwaltung und Alleinherrschaft. So entsteht ein anschauliches Bild des Landes mit seinen zahlreichen Völkern, seinem unterschiedlichen territorialen Umfang und den verschiedenartigen staatlichen Ausprägungen, das nicht nur die Grundlagen des notwendigen Wissens vermittelt, sondern auch zur Überprüfung unserer Einstellungen auffordert und neugierig darauf macht, sich weiter in die Geschichte zu vertiefen.
Heiko Haumanns «Geschichte Russlands» ist erstmals 1996 erschienen. Für die Neuausgabe hat er nicht nur den jüngsten Forschungsstand eingearbeitet, sondern die lebensweltliche Orientierung noch klarer herausgestellt. Auf diese Weise wird das Buch zu einer fesselnden Lektüre.

Heiko Haumann, geb. 1945, studierte Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik an den Universitäten Marburg und Frankfurt a. M. Von 1991 bis 2010 war er Professor für Osteuropäische und Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel.


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Pressestimmen
«Die Geschichte Russlands ist auch die Geschichte seiner Originale und extremen Persönlichkeiten, und Haumann wäre ein nachlässiger ‹Geschichtenerzähler›, würde er ihnen nicht den ihnen gebührenden Platz einräumen. So spannt er den Bogen auch über diese schillernden Figuren: vom falschen Dimitri, dem Lügenzaren aus der Zeit der Wirren zu Beginn des 17. Jahrhunderts, zu den Grosskaufleuten Stroganow, die Sibirien kolonisierten, vom ‹schrecklich› genannten Zaren Iwan IV. bis zum Wundermönch Rasputin, der grossen Einfluss auf den Hof des letzten russischen Zaren ausübte.» Weltwoche

«Heiko Haumann ist ein glänzender Erzähler und plaudert sich in leichtem Ton durch die Jahrhunderte.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Heiko Haumann entwirft ein vielschichtiges, auf dem neuesten Stand der Forschung beruhendes Bild der russischen Geschichte. Seine spannend zu lesende Darstellung setzt sich aus kurzen Kapiteln zusammen, was die Übersicht erleichtert, aber auch zum Nachschlagen einlädt.» Neue Zürcher Zeitung

Besprechungen
Herrschaft und Alltag Russische Geschichte in neuen Darstellungen Von Ulrich M. Schmid Wer ist das Subjekt der russischen Geschichte? An dieser Frage erhitzen sich die Gemüter seit dem frühen 19. Jahrhundert. Der Vater der russischen Historiographie, Nikolai Karamzin (1766 bis 1826), legte nach über zwanzigjähriger Arbeit eine monumentale «Geschichte des russischen Staates» vor, deren programmatische Ausrichtung auf die Beschreibung offizieller Strukturen bereits im Titel anklingt. Karamzin hielt im Vorwort zu seinem vielbändigen Werk knapp und bündig fest: «Die Geschichte des russischen Volkes gehört dem Zaren.» Karamzin vertrat eine durchaus hegelianische Position: Der russische Staat erschien ihm als gültige Erscheinung eines vernünftigen Geschichtsverlaufs. Angesichts der repressiven Autokratie und der allgemeinen Misere der Bauern mochten sich jedoch vor allem nichtadlige Kreise mit Karamzins Geschichtsoptimismus nicht einverstanden erklären. 1829 veröffentlichte der Journalist Nikolai Polevoj (1796-1846) eine «Geschichte des russischen Volkes», in der die zaristische Herrschaft gerade nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses stehen sollte. Der Gegensatz von politischer Ereignisgeschichte und Kulturgeschichte blieb in historiographischen Darstellungen lange Zeit ungelöst. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts zog man aus der wechselseitigen Bedingtheit von individuellen Lebenswelten und historischen Strukturen die methodischen Konsequenzen - neuere Darstellungen der Geschichte Russlands begnügen sich nicht mit gesellschaftspolitischen Abstraktionen, sondern rücken den einzelnen Menschen als prominentestes Subjekt der Geschichte in den Blick. DAS EXEMPLARISCHE IM BESONDEREN Heiko Haumanns massgebliche «Geschichte Russlands» aus dem Jahr 1996 liegt seit kurzem auch in einer broschierten Ausgabe vor. Gegenüber der ersten Auflage hat der Basler Osteuropahistoriker die lebensweltliche Perspektive verstärkt - hinzugekommen sind etwa Kapitel über das Phänomen der Gottesnarren, über die kulturelle Konfrontation der Tschuktschen im hohen Norden mit den Vertretern der Sowjetmacht und über das tragische Schicksal eines Rückkehrers aus der Emigration während des Stalin'schen Terrors. Es gelingt Haumann, das Exemplarische im Besonderen aufzudecken: Gesellschaftliche, politische, ökonomische, konfessionelle und nationale Aspekte der russischen Geschichte verbinden sich zu einer übergreifenden Darstellung, in der das Gegenwärtige als Gewordenes erkennbar wird. (Das Buch hätte allerdings etwas mehr verlegerische Sorgfalt verdient: Auf S. 157 ist eine Abbildung vergessen gegangen, und im Inhaltsverzeichnis fehlen einige Seitenzahlen.) Noch nachhaltiger als Haumann konzentriert sich Carsten Goehrke in seinem dreibändigen Werk «Russischer Alltag» auf die individuellen Lebenswelten. Der Zürcher Emeritus verzichtet weitgehend auf die Darstellung diachroner Entwicklungen und zeigt neun Querschnitte aus der russischen Geschichte. Diese «Zeitfenster» - wie Goehrke sie nennt - öffnen den Blick auf die konkreten Lebensumstände verschiedener historischer Akteure. So präsentiert Goehrke etwa den Alltag auf einem russischen Adelsgut im 18. Jahrhundert aus der Sicht sowohl des Besitzers als auch des leibeigenen Bauern. Ähnliches gilt für die Darstellung der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die vergangene Epoche gewinnt anschauliche Züge, wenn Goehrke den russigen Arbeitsplatz in einer Fabrik, die schwüle Enge eines Bordells oder die soignierte Eleganz des reichen Grossbürgertums skizziert. Goehrke stützt sich auf zahlreiche, wenig bekannte Quellen und illustriert seine Schilderung mit wertvollem Bildmaterial. Für die schlecht dokumentierte Vormoderne hat Goehrke einen mutigen Ansatz gewählt: Er rundet seine Momentaufnahmen mit einem fiktiven Text ab, der eine konkrete Szene aus dem russischen Alltag zeigt. Ein solches Vorgehen ist nicht nur legitim, sondern auch methodisch aufschlussreich: Es zeigt, dass Geschichte letztlich immer nur in einer subjektiven Erzählung wiedergegeben werden kann: Die Forderung Leopold von Rankes, die Geschichtsschreibung müsse zeigen, «wie es eigentlich gewesen», erweist sich ein weiteres Mal als Illusion. Goehrkes Text bietet eine angenehme Lektüre, allerdings zieht der Verfasser bisweilen ein allzu saloppes Stilregister («die Bude einrennen», «ein Haus hinklotzen», «der Staat dopt seine Untertanen», «Bonzokratie»). UNKRITISCH Wer nur einen kurzen Überblick sucht, kann zu Hans-Heinrich Noltes «Kleiner Geschichte Russlands» greifen. Auch Nolte ergänzt die grossen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungslinien durch individuelle Biogramme. Allerdings vertraut Nolte hier seinen Quellen bisweilen allzu unkritisch: Wohl aus Gründen der politischen Korrektheit wählt er Anastasja Markowna, die Frau des Protopopen Awwakum, als Beispiel für eine weibliche Existenz im 17. Jahrhundert. Awwakum war der prominenteste Führer der Altgläubigen und hat eine bemerkenswerte Autobiografie hinterlassen, in der er seine Frau jedoch nur en passant erwähnt. Noltes Biogramm beschäftigt sich denn auch hauptsächlich mit Awwakum und kann kaum Wesentliches über Anastasja Markowna aussagen. Auch für die Sowjetzeit greift Nolte eine Politikerin heraus, die er in einem allzu rosigen Licht zeigt: Die langjährige Kulturministerin Jekaterina Furzewa war keineswegs eine «wohlunterrichtete Persönlichkeit», sondern zeichnete sich vor allem durch einen ausgeprägten Machtinstinkt und ein reaktionäres Kunstverständnis aus. Nolte führt seine Darstellung bis in die jüngste Vergangenheit, verklärt aber Wladimir Putin zur Lichtgestalt demokratischer und rechtsstaatlicher Reformen. Gerade am Ende eines weit ausgreifenden Überblicks über die Geschichte Russlands hätte sich hier die Chance geboten, das Phänomen Putin kritisch zu analysieren. So aber wird Putin als der «rechte Mann» präsentiert, der die richtigen Rezepte für die zahlreichen Krankheiten seines Landes kennt und ihm die nötigen Kuren verschreibt. Carsten Goehrke: Russischer Alltag. Eine Geschichte in neun Zeitbildern vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. 3 Bände. Chronos-Verlag, Zürich 2003. Bd. 1: Die Vormoderne, 472 S. - Bd. 2: Auf dem Weg in die Moderne, 548 S.; je Fr. 60.-. Heiko Haumann: Geschichte Russlands. Chronos-Verlag, Zürich 2003. 568 S., Fr. 48.-. Hans-Heinrich Nolte: Kleine Geschichte Russlands. Reclam- Verlag, Stuttgart 2003. 544 S., Fr. 33.60. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung, Literatur und Kunst, 31.1.2004
Neue Zürcher Zeitung, Literatur und Kunst, 31.1.2004