Vom Leiden
der bäuerlichen Bevölkerung
Eine Ortsgeschichte von Wasterkingen
hhö. Zur ihrem 900-Jahre-Jubiläum hat sich die Gemeinde Wasterkingen eine Ortsgeschichte geschenkt. Wie im Vorwort des reich illustrierten, klar gegliederten Buchs vermerkt wird, erhebt sie nicht den Anspruch, eine umfassende Chronik zu sein. Während sich der Historiker Thomas Neukom des Zeitraums vom Mittelalter bis zur Helvetik annahm, durchforschten die Ortschronisten Hanspeter Voegeli und Paul Stühlinger das 19. und das 20. Jahrhundert. Der rund 140 Seiten umfassende Band bietet eine Fülle von Information über ein Dorf, das wegen seiner Grenzlage zu Deutschland einige Besonderheiten aufweist.
Ausführlich setzt sich Neukom mit den mittelalterlichen Grundherrschaften, den Nieder- und Hochgerichten, dem Verkauf des Rafzerfeldes an die Stadt Zürich und natürlich mit kuriosen Gemeindeangelegenheiten jener Zeit auseinander. Spannend ist zu lesen, wie die Bürger von Wasterkingen im 16. Jahrhundert immer wieder versuchten, Einbürgerungen zu verhindern, um die Bewerber von den allgemeinen Gemeindenutzungen fernzuhalten. Die ausschliesslich bäuerliche Bevölkerung kämpfte oft ums nackte Überleben. Drei Kategorien von Bürgern zeichneten sich ab: die wenigen wohlhabenden Bauern, die weniger begüterten Halbbauern und die meist mittellosen Taglöhner, die kaum Land besassen. Breiten Raum nimmt der Hexenprozess von 1701 ein, an dem acht Personen nach langwierigem Verfahren in Zürich wegen Bündnisses mit dem Teufel zum Tode verurteilt wurden.
Die Neuzeit ist ebenso vom harten Leben der Dorfbevölkerung geprägt. Die 1933 durchgeführte Güterzusammenlegung brachte einige Verbesserungen. Aus den 1658 früheren Kleinstparzellen hat es 290 neue Grundstücke gegeben. Durch die wegfallenden Grenzfurchen konnten immerhin sechs Hektaren Nutzland neu gewonnen werden. Wegen seiner Grenzlage hatte sich das Dörfchen oft mit Bettlern zu befassen, die von Polizisten über die Grenze abgeschoben wurden. Bei der Einführung des elektrischen Lichts zeigten sich die Dorfbewohner nicht sehr fortschrittlich, lehnten sie doch an der Gemeindeversammlung im Jahr 1914 einen entsprechenden Antrag ab. Als letzte Gemeinde im Kanton Zürich ohne Elektrizitätsversorgung bügelten sie den offensichtlichen Fehler zwei Jahre später aus. Die moderne Wasserversorgung wurde 1900 eingeführt, womit das Wasserholen an den Dorfbrunnen entfiel. Bis 1958 erhob die Gemeinde keine Gemeindesteuern, konnte sie doch die Ausgaben des Haushalts aus dem Ertrag der Waldungen decken. Heute ist die Forstrechnung defizitär.
Thomas Neukom/Paul Stühlinger/Hanspeter Voegeli: Wasterkingen - ein Dorf und seine Grenzen. Chronos-Verlag, Zürich 2002. 144 S. 85 Abb. Der Band ist zum Preis von Fr. 25.- auf der Gemeinderatskanzlei Wasterkingen erhältlich.
NZZ September 2002
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmingung der Neuen Zürcher Zeitung.
Neue Zürcher Zeitung ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 19.09.2002 Nr.217 48
(c) 1993-2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1