Museum für Kommunikation (Hg.)
Walkenmatt
Briefe aus dem Diemtigtal, aus Russland und Amerika 1890–1946
Schriftenreihe des Museums für Kommunikation, Bern
Gebunden
2001. 463 Seiten, 30 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-0532-6
CHF 38.00 / EUR 25.90 
  • Kurztext
  • Einblick
  • In den Medien
  • Buchreihe
«Liebe Frida! Ich sende Dir den letzten Russlandbrief, flüchtig abgeschrieben, wir hatten ihn lange gar nicht bei Hause, er war in Thun und jetzt will ihn der Vetter noch lesen, sonst hätte ich ihn Dir beigelegt.»

Walkenmatt ist der Familiensitz einer Bauernfamilie, der über regelmässige Briefkontakte die Familienangehörigen in aller Welt vereint. Die nach Russland und Amerika Ausgewanderten erfahren so Neues aus der Heimat und erzählen ihrerseits den Zurückgebliebenen über ihre Lebensgewohnheiten und Abenteuer in der neuen Welt. Die von Walkenmatt abgehenden Briefe schildern den Alltag: Sie berichten übers Wetter, die anstehende Ernte, über Geburten, Todesfälle, Krankheiten und anderes mehr. Auch der Dorfklatsch fehlt nicht, die Briefe vermelden Heiraten, Feste und Gebräuche. Am Rande scheinen auch die historischen Ereignisse mit ihren jeweiligen Auswirkungen auf die städtische und ländliche Bevölkerung auf: Die beiden Weltkriege, die Russische Revolution, Rezession und Wirtschaftswunder.
Der Band lässt in über 250 Briefen aus den Jahren 1890 bis 1946 eine vergangene Briefkultur lebendig werden: Die eingegangene Post wird geöffnet, gelesen und an die Familienmitglieder in der näheren Umgebung weitergereicht, aber auch abgeschrieben und an fernere Familienangehörige weitergeschickt.
Die Publikation des Briefbestandes wird ergänzt durch zwei wissenschaftliche Beiträge: Ein Aufsatz vermittelt einen Überblick über die familiären und zeitgenössischen Verhältnisse im Diemtigtal. Der andere beleuchtet das Medium Brief und dessen spezifische Distributionskanäle und Rezeptionsweisen im Wandel der Zeit.
Artikel
  • Einleitung
  • «Tue den Brief verbrennen». Anmerkungen zur Briefkultur
  • Der Austausch familiärer Neuigkeiten als Zeugnis vergangener Alltagswelt – Inhaltliche Aspekte des Briefwechsels von 1890 bis 1946

Besprechungen
Bäuerinnen in Briefen uha. Die Leute auf dem Lande, so eine Ansicht, die sich bis heute gehalten hat, hätten bis ins 20. Jahrhundert hinein ein dumpfes und geschichtsloses Leben geführt, das höchstens vom Rhythmus der Jahreszeiten bestimmt worden sei. Ein ganz anderes Bild vermittelt eine umfangreiche, vom Museum für Kommunikation sorgfältig edierte Briefsammlung aus dem Berner Oberland. Nach dem frühen Tod ihres Mannes hielt die Bäuerin Susanne Hiltbrand-Dubach ihre weitverzweigte Familie, deren Angehörige in Luzern, Solothurn und der Westschweiz, ja in Russland und Amerika lebten, mit einem regen Briefverkehr zusammen. In den häufig kollektiv genutzten Schriftstücken, die an mehrere adressiert waren, ausgetauscht wurden und oft Nachrichten von mehreren Autorinnen enthalten, ist natürlich häufig die Rede vom Wetter, von Krankheit, Nahrung und Not. Anlässlich eines Todesfalls schreibt 1890 die 21-jährige Luise ihrer Schwester in einem Anfall von agrarisch geprägter Melancholie: «Das menschliche Leben gleicht dem Grase, das heute schön u. grün, und morgen wird's abgemäht u. in den Ofen geworfen. Schön ist es zu sterben im besten Jünglingsalter, aber ach seine Angehörigen». Die Schreiberinnen und wenigen Schreiber berichten in je unverkennbarem, zuweilen ergreifendem Ton auch von Tanzvergnügen und Liebeszwisten, Wohnverhältnissen und Kindern, der Landwirtschaft und fremden Sitten, selten nur von sogenannt epochalen Ereignissen wie etwa den beiden Weltkriegen. Die mehr als 300 Briefe gestatten einen tiefen Einblick in eine im Verschwinden begriffene, bäuerliche Alltagskultur, in erstaunlich «subjektive» Mentalitäten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Museum für Kommunikation (Hg.): Walkenmatt. Briefe aus dem Diemtigtal, aus Russland und Amerika 1890-1946. Chronos-Verlag, Zürich 2001. 463 S., Fr. 38.-. Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 30.03.2002 Nr.74 64 Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. (c) 1993-2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1