Der politische Humor der Palästinenser
Anders als im Sowjetreich müssen politische Witze unter Palästinensern nicht als Ventil herhalten, um Verstand und Intellekt zu bewahren, und sie müssen sich auch nicht verschwiegen geben wie der Flüsterwitz im Dritten Reich. Der palästinensische Witz interpretiert die schwierige Alltagssituation unter israelischer Besetzung indes viel diffiziler und feinsinniger, als es sonst geschieht - und so lassen sich an ihm besonders gut die Stimmungsschwankungen erfassen, die das palästinensische Volk in seinem wechselhaften politischen Geschick seit 1948 ergriffen haben.
Diese zeitgeschichtliche, dokumentarische Note ist es, die Sharif Kanaana, Ethnologe an der Bir-Zeit-Universität, und Pierre Heumann, Nahostkorrespondent der «Weltwoche», dazu bewogen hat, eine Zusammenstellung von mehr als 200 politischen Witzen aus Palästina zu präsentieren. Denn dem Volksmund entnommene Einschätzungen und Erwartungen vermitteln Mentalität und Befindlichkeit zuweilen treffender über Grenzen hinweg als manch gelehrte Studie. Chronologisch geleitet und mit präzisen Erläuterungen der Autoren zu den angesprochenen Ereignissen versehen, «lernt» der Leser aus einer anderen Perspektive als üblich über die komplizierten Verhältnisse im Nahen Osten - und er staunt über einen speziell vermischten Humor, der bisweilen zynisch-karikierender ist als anderswo, mitunter auch resignativ oder aber einfach nur launisch daherkommen kann. Aufs Korn genommen werden sowohl die Politik der USA und die israelischen Soldaten als auch die Tüchtigkeit der eigenen, palästinensischen Offiziere und der Regierungsstil Arafats. Makaber bis befremdlich muten die Witze dagegen mitunter an, wenn es um die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen geht oder um die Intelligenz von Selbstmordattentätern. Geradezu bitter aber können sie werden, wo auf Missstände in der Autonomieverwaltung gezeigt wird und auf Niederlagen sowie Ermüdungserscheinungen im Widerstand gegen die israelischen Besetzer. Alles in allem eine reiche Ladung in einem so kleinen Buch.
Anette Bingemer
Sharif Kanaana, Pierre Heumann: Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie? Der palästinensische Witz: Kritik, Selbstkritik und Überlebenshilfe. Chronos-Verlag, Zürich 2001. 155 S., Fr. 28.-.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Dienstag, 19.02.2002 Nr.41 16
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
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