Gegen Unwissenheit und Finsternis

Johann Caspar von Orelli (1787–1849) und die Kultur seiner Zeit

Gebunden
2000. 380 Seiten, 30 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-905313-64-2
CHF 68.00 / EUR 39.00 
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  • Autor/in
  • Einblick
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Ein Universitätsgründer, der selber keine Universität besucht hatte, ein ausgewiesener Klassischer Philologe, der sich für die zeitgenössische italienische Literatur stark machte, ein Zürcher Pfarrer, der keine Zürcher Theologen mochte: Johann Caspar von Orelli war zeitlebens kein Konformist. Geboren 1787 in Zürich, wurde Orelli zum Pfarrer ausgebildet und ging 1807 nach Bergamo, wo er sich die Sprache seiner Tessiner Ahnen rasch aneignete. Nach einigen Jahren als Lehrer in Chur (1814–­1819) kehrte er in die Limmatstadt zurück.
Orelli gehört zu den Mitbegründern der Kantonsschule und der Universität Zürich, die 1833 gegründet wurden. In Fachkreisen ist er vor allem als Herausgeber von Cicero und anderen Klassikern bekannt. Doch die intellektuelle Neugier und die Schöpfungskraft dieses brillanten und polemischen Geistes waren grenzenlos: Er übersetzte Ugo Foscolo ins Deutsche, gab Werke von Campanella, Tasso und Lavater, mittellateinische Gedichte und römische Inschriften heraus, kommentierte Dante, schrieb über die Geschichte der Reformation, über Bildung, Pädagogik und Turnwesen, kümmerte sich um Volkskultur und Theologie. Orelli war ein leidenschaftlicher Büchersammler, aber alles andere als ein weltfremder Stubengelehrter. Er unterstützte die griechischen Unabhängigkeitsbestrebungen, war Präsident der Helvetischen Gesellschaft und verteidigte mutig die Errungenschaften der Zürcher Schulreform, als sie 1839 in Frage gestellt wurden. Die Beiträge dieses Sammelbandes behandeln Orellis weitgefächerte Interessen und werfen ein neues Licht auf diese bedeutende Persönlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


Bücher im Chronos Verlag


Aufsätze im Chronos Verlag

Inhalt

Ottavio Besomi: Orelli e la cultura italiana
Jean-Pierre Bodmer: Orelli, Oberbibliothekar der Stadtbibliothek Zürich 1831­1849
Luciano Canfora: Orelli e Cicerone
Michele Camillo Ferrari: Orelli und das Mittelalter
Michele Camillo Ferrari: Lavater und David von Orelli. Ein Beitrag zur Geschichte und Rezeption der «Physiognomischen Fragmente»
Manfred Fuhrmann: Das Cicero-Bild des 19. Jahrhunderts
Gerhard Grimm: Orelli und der Philhellenismus
Silvio Honegger: Orelli e gli Svizzeri di Bergamo
Urs Leu: Orellis Privatbibliothek
Hans Lieb: Orelli und die römischen Inschriften
Christoph Riedweg: Orelli als Bildungspolitiker
Hans Heinrich Schmid: Orelli und die Universität 2000
Gustav W. von Schultess: Der junge Orelli
Peter Stadler: Orelli, Zürichs zögernder Universitätsgründer
Marlis Stähli: Orellis handschriftlicher Nachlass
Graeme Tytler: Lavaters physiognomisches Porträt von David von Orelli
Dieter Ulrich: Denkmäler berühmter Zürcher
Christian Utzinger: Orelli als Philologe
Kurt Wanner: Orelli in Chur ­ Spuren einer Freundschaft


Besprechungen

Kein Konformist

upj. Als einen streitbaren Philologen «zwischen den Kulturen» und als einen
Gelehrten ohne Hang zu staubigen Studien stellt Michele C. Ferrari den
Zürcher Universitätsgründer Johann Caspar von Orelli (1787-1849) im eben
erschienenen Tagungsband vor. Aus Anlass des 150. Todestages dieses
einstmals berühmten und nun in Vergessenheit geratenen Zürchers haben 1999
in Locarno wie in Zürich zwei Tagungen stattgefunden, die Vita und Werk von
Orellis neu zu beleuchten die Aufgabe hatten. Dabei kommen auch Spuren und
Einfärbungen zum Vorschein, die ahnen lassen, dass von Orelli nicht zu den
Konformisten gehört hat. Das Neue reizte ihn mehr als das Weitertreten in
den Spuren des Bekannten. Das zumindest mag erklären, dass einer, der selbst
keine Universität besucht hatte, sich dem Wagnis stellte, eine Universität
zu gründen. Auch andere Auffälligkeiten sind zu vermelden. Ein ausgewiesener
klassischer Philologe begeistert sich für die neueste italienische
Literatur - und bleibt nicht stehen bei der Begeisterung; er macht sich
selbst ans Übersetzen. Der Dialog zwischen der italienischen und der
deutschsprachigen Kultur war ihm ein Seelenanliegen, hingegen hat sich sein
Herz kaum je für die Zürcher Theologen erwärmen können, auch wenn er selbst
ausgebildeter Pfarrer war. Vollends polarisierend wirkte sein Eintreten für
den nach Zürich berufenen Theologen David Friedrich Strauss, den von Orelli
als «Mitstreiter gegen Unwissenheit und Finsternis» verteidigte. Doch da
halfen selbst feurige Worte nichts mehr. Strauss kam nicht nach Zürich, von
Orelli wurde aus dem Erziehungsrat «entfernt». Zürich hat dem streitbaren
Geist kaum je Ehre erwiesen. Auch das reflektiert der sorgfältig gemachte
Tagungsband.

Gegen Unwissenheit und Finsternis. Johann Caspar von Orelli (1787-1849) und
die Kultur seiner Zeit. Herausgegeben von Michele C. Ferrari.
Chronos-Verlag, Zürich 2000. 388 S., Fr. 49.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 13.01.2001 Nr. 10 64