Fürstäbtische Herrschaft und protestantischer Widerstand um 1600
Am 9. November 1621 morgens um halb zehn wird Hans Ledergerw in einem Hohlweg im Obertoggenburg kaltblütig erschossen. Als katholischer Amtmann des St. Galler Fürstabtes hat er die Herrschaftsansprüche der Fürstabtei, die sich in dieser Zeit verstärken, resolut durchgesetzt und zwar in allen Bereichen: Verwaltung, Militär und Religion. Bei der vorwiegend protestantischen Untertanenschaft ist er verhasst. Die Fahndung nach seinen Mördern verläuft ergebnislos. Acht Jahre lang hält die Mauer des Schweigens stand, bis sie infolge einer unerwarteten Denunziation zusammenbricht. Nun kommt es ans Licht: Hinter dem Mord steht eine Verschwörergruppe von protestantischen Nesslauer Notabeln. Nach aufwendigen Ermittlungen macht die Obrigkeit ihnen den Prozess. Schliesslich kann sie das aus ihrer Sicht längst fällige Exempel statuieren.
Ausgehend von den umfangreichen Prozessakten zeigt der Autor die politische Bedeutung des Mordes auf. Die Bluttat war ein Tyrannenmord. In Anlehnung an den methodischen Ansatz der Microstoria stehen die Motive der Verschwörer im Zentrum, ihre politische Kultur und Erfahrung, ihr Rechtsverständnis, ihre soziale und wirtschaftliche Interessenlage sowie ihre konfessionelle und regionale Identität. Weshalb nahmen sie die fürstäbtische Herrschaft als Tyrannei und damit verknüpft Hans Ledergerw als Tyrannen wahr, gegen den sie das göttliche Widerstandsrecht reklamieren und zur Ultima Ratio greifen mussten?
Die vorliegende Studie leistet einen bedeutenden Beitrag zur Forschung über den bäuerlichen Widerstand in der Frühen Neuzeit. Darüber hinaus liefert sie durch ihre historische Tiefe wichtige neue Erkenntnisse zum frühneuzeitlichen Staatsbildungs- und Konfessionalisierungsprozess in der Alten Eidgenossenschaft. Nicht zuletzt wird ein bisher stark vernachlässigter Teil der St. Galler Regionalgeschichte erhellt.