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Die Renaissance des Krieges
Kriegsmonographien und das Bild des Krieges in der spätmittelalterlichen Chronistik am Beispiel der Burgunderkriege
Broschur
1999. 377 Seiten
ISBN 978-3-905313-17-8
CHF 58.00 / EUR 31.00 
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«Alle Berner und andere sollen lernen, dass man mit vernunft nd beschidikeit in kriegen gar vil erobern kann, das man sonst nit zewegen bringen mag.»

Ist der Krieg zu bejahen? Weshalb begrüsst der Berner Ratsschreiber Diebold Schilling in seiner grossen Burgunderchronik mit diesem ­ sinngemäss zitierten ­ Satz um 1480 ein Phänomen, das sich durch Zerstörung, Raub und Mord auszeichnet? Artikuliert er damit einen zeitgenössischen Trend?
Die vorliegende Untersuchung beantwortet diese Frage anhand von Chroniken über die Burgunderkriege (1474­1477), die zwischen 1477 und 1484 verfasst wurden. Alle auf der Seite der Sieger stehend, verkörpern die Autoren in ihren Aussagen unterschiedliche Mentalitäten: Der Berner Diebold Schilling als Beamter der Stadt und Sprachrohr des Patriziats, der adelige Dekan des Klosters Einsiedeln Albrecht von Bonstetten als Literat, der studierte Mönch und Historiograph Nicolaus sowie der zwischen Reich und Eidgenossenschaft stehende Basler Anonymus.
Wir treffen in diesen Chroniken auf eine in die Moderne gerichtete Denkweise. Man glaubte, aus dem Krieg einen Nutzen für den Menschen zu ziehen. Der Autor der vorliegenden Studie zeichnet das Bild eines rational geplanten Krieges, der von den Chronisten mit zeitgenössisch «aktuellen» Argumenten gerechtfertigt wurde. Als Leitmotive dienten Gegensätze wie Gottesfurcht contra Hochmut, Bürger contra Adel und «Tütsche» contra «Welsche», alles Motive, die in den folgenden fünfhundert Jahren beständig wiederkehrten. Aus der spezifisch eidgenössischen Situation des fast zweihundertjährigen militärischen Kampfes gegen die Habsburger wurde damit aus der Not eine vermeintliche Tugend. Denn das Desaster von Marignano von 1515 darf als Symbol für alle späteren Versuche gelten, die Gewalt als dauerhafte Form menschlicher Koexistenz zu akzeptieren.
Die Arbeit beinhaltet neue Erkenntnisse zur Verbreitung von Diebold Schillings Chroniken in Verbindung mit dem Fribourger Chronisten Peter von Molsheim sowie einen übersichtlichen Abriss der Burgunderkriege, über welche bislang keine umfassende wissenschaftliche Monographie erschienen ist.
Pressestimmen
«G. Himmelsbach hat eine gut zu lesende, anregende Arbeit geschrieben, hat sich in die sehr komplexe Materie der bernischen, eidgenössischen und oberrheinischen Chronistik mit grossem Aufwand eingearbeitet und scheut sich auch nicht vor Seitenblicken auf unser heutiges Verhältnis zum Krieg. [...] Mit der detailreichen, methodisch interessant konzipierten Würzburger Arbeit erhält die Diskussion um die spätmittelalterliche Stadtgeschichtsschreibung [...] neue Impulse.» Urs Zahnd, MIÖG

«Gerrit Himmelsbach zeichnet das lebendige Bild einer in die Moderne aufbrechenden Gesellschaft. [...] Dem historisch Interessierten bietet dieses wissenschaftliche, aber verständlich geschriebene Buch einen grundlegenden Einblick in den Höhepunkt bernischer und eidgenössischer Geschichte.» Bernische Gesellschaft für Geschichte

Besprechungen
Gerrit Himmelsbach verfolgt mit seiner 1996/97 in Würzburg eingereichten Dissertation das Ziel, «am Beispiel der Burgunderkriege das Prägnante der spätmittelalterlichen Epoche zu veranschaulichen, einer Zeit, die Neuerung wittert und mit Unbehagen darauf reagiert». Er will damit dazu beitragen, «ein Zeitalter verstehen zu können».(5) Um dies zu erreichen, untersucht er zeitgenössische Darstellungen der Burgunderkriege durch Diebold Schilling von Bern, den Freiburger Johanniter Peter von Molsheim, den Einsiedler Klosterdekan Albrecht von Bonstetten, den Humanisten Nicolaus, dessen 36seitige lateinische Schrift 1477/78 in Strassburg im Druck erschien, und schliesslich eine Zusammenstellung von Abschnitten aus einer Sammelhandschrift des 16. Jahrhunderts, aus denen August Bernoulli den «Basler Anonymus» als verlorene zeitgenössische Chronik rekonstruierte. Einem Abriss der historischen Umstände, die zu den Burgunderkriegen führten, folgt die Beschreibung der verschiedenen Chroniken. Aufgrund der Abgeschlossenheit der Darstellung und des Inhalts charakterisiert Himmelsbach alle Werke als «Kriegsmonographien». Der Argumentation ist für Albrecht von Bonstetten und Nicolaus sowie mit einigen Vorbehalten für Molsheim zu folgen, ebenso den Bedenken des Autors bei der Zuweisung dieses Begriffs im Falle des fragmentarisch überlieferten Anonymus. Trotz der Dominanz der Schilling-Chroniken durch das Kriegsthema möchte ich aber da ein Fragezeichen anfügen. Sowohl der dritte Band der amtlichen Chronik wie der «Zürcher Schilling» enthalten auch nicht auf den Krieg bezogene Geschichte, und der Berner Schilling ist nicht einfach als Monographie, sondern zunächst einmal als dritter von drei Bänden anzuschauen, mit denen er inhaltlich, stilistisch und in der normativen Ausrichtung in Zusammenhang steht. Nicht glücklich ist auch die Entscheidung des Autors, sowohl das in Zürich liegende Exemplar der Chronik der Burgunderkriege von Diebold Schilling («Zürcher Schilling», «Grosse Burgunderchronik») wie auch den dritten Band der Amtlichen Berner Chronik als «Grosse Burgunderchroniken» zu bezeichnen. Dieses Vorgehen verwischt die entscheidenden Unterschiede zwischen der offiziellen und der «offiziösen» Chronik. Wegen der behaupteten sozialen Identität des jeweiligen Zielpublikums setzt Himmelsbach die beiden Chroniken funktional gleich. Die Bewertung der Rolle der Gesellschaft zum «Distelzwang» bei der Verbreitung historischer Schriften beruht aber auf wenigen Indizien und weitreichenden Ableitungen, vor allem aber haben eine durch die Ratsversammlung getroffene Entscheidung und ein Gespräch von Standesgenossen beim Gesellschaftswein grundsätzlich unterschiedliche normative Kraft. Die Einwände gegen Himmelsbachs Einschätzung seiner Quellen liessen sich weiterführen. Nach der Vorstellung der Quellen folgt eine Typologie des Krieges, wie sie von Rolf Sprandel für die Einrichtung der Forschergruppe, in deren Rahmen die Dissertation entstanden ist, entworfen wurde. Mit dieser Typologie, die drei Ausgangssituationen für Kriege unterscheidet («Repräsentation, Selbstbehauptung und -dar-stellung von Gruppen oder sozialen Systemen»; «Das religiöse Motiv», «Konflikte um wirtschaftliche Ressourcen oder Produktionsmittel») «soll geklärt werden, welcher Kategorie spätmittelalterlicher Konflikte die Burgunderkriege angehören». Bei der darauf angeführten Darstellung des «Kriegsbildes» greift Himmelsbach in etwa die in der Typologie angesprochenen Themen auf, jeweils für die fünf Chronisten. Verwirrend ist hier allerdings, dass es in der Regel schwierig ist, Himmelsbachs Schlussfolgerungen als aus der vorangegangenen Beschreibung abgeleitete Argumente zu erkennen. Zudem wird mancherorts nicht klar, ob denn nun das «Kriegsbild», eine etwaige Wirklichkeit des Kriegs oder die Interpretation Himmelsbachs im Vordergrund steht. Ein zufällig gewähltes Beispiel: Die Freischarenzüge in den Bilderchroniken werden nicht etwa deshalb ohne Fahne abgebildet, weil die Darstellung nichtobrigkeitlicher Auszugsformen «den Ehrprinzipien der Stadtoberen widersprach» (229), sondern weil es gerade Kennzeichen der Freischaren ist, ohne Banner und höchstens mit einem «fendli» auszuziehen ­ das Kolbenbanner (ein Hinweis auf die Gefährlichkeit des «Törichten Lebens») ist zudem im Berner wie im Zürcher Schilling mehrfach abgebildet. Dass die Diskussion um die Verbreitung der Werke Schillings nicht abgeschlossen ist, zeigen die anschliessenden Ausführungen zur Rolle Peters von Molsheim als mehrfachen Kopisten der «kleinen Burgunderchronik». Die Identifikation des Nürnberger Manuskripts als ziemlich sicheres, der in Solothurn liegenden Handschrift als wahrscheinliches Autograph Molsheims, aber auch die Fragen, die der Autor aufgrund des Nürnberger Bucheinbandes des als offizielle Stadtchronik bekannten Freiburger Manuskripts aufwirft, sind wichtige Beiträge zu einer besseren Kenntnis der Produktions- und Verbreitungsbedingungen der schweizerischen Chronistik des Spätmittelalters. Auch die Identifikation des Autors des frühen Drucks über die Burgunderkriege mit dem Zisterzienser Nicolaus Widenpösch (Salicetus) ist plausibel und weiterer Forschung wert. Die nach der Zusammenfassung angefügte, fast 80seitige «Quellendarstellung» (261­337) der Schlachten von Héricourt, Grandson, Murten und Nancy dagegen bringt in dieser Form keinen Erkenntnisgewinn. Der Autor überlässt es dem Leser, aus der Nebeneinanderstellung der Zitate «die Unterschiede der Chroniken selbst wahrzunehmen» ­ ein Unterfangen, das durch die ungewichtete Nacherzählung und die gehäuften Quellenzitate nicht eben erleichtert wird. Schliesslich muss darauf hingewiesen werden, dass die Seitenangaben des Registers jeweils um sechs bis sieben Seiten gegen hinten zu korrigieren sind. In den Augen Himmelsbachs entscheidend für die Bewertung der verschiedenen Chronisten ­ und damit auch ihres «Bildes des Krieges» ­ ist deren Apostrophierung als «modern» oder eben «mittelalterlich». Modern ist etwa das «ehrliche Bemühen um Objektivität» (162), das im (hochstilisierten!) lateinischen Werk Nicolaus¹ zu erkennen sei. Auch Bonstetten habe mit dem Begriff «Kriegs Pacten» «Richtlinien der Fehde, nicht etwa Vorläufer eines Völkerrechts (sic)» verstanden (123), und Schilling stehe bei der Beurteilung des Krieges «zwischen Mittelalter und Neuzeit».(227) Die untersuchten Chroniken vermittelten «einen neuartigen Geist von Innovation, der einen Baustein zu unserem neuzeitlichen Geschichtsverständnis legte und die mittelalterlichen schablonenartigen Urteile beiseite schob».(256) Dieses Analyseraster ­ wenn man es denn so nennen will ­ ist deshalb so irritierend, weil der Autor versäumt darzustellen, was denn eigentlich Charakteristika der «modernen» Geschichtsschreibung sein sollen. Er bleibt in der Bewertung der Chroniken des ausgehenden 15. Jahrhunderts in seiner Grundannahme gefangen, dass das Mittelalter eine von sich wiederholenden Epochen war, «in denen das Handeln von Ideologien geleitet», die aber «durch das Streben des Individuums nach Selbstentfaltung unterhöhlt und beendet» (257) wurde. Die untersuchten Werke entstanden als Antwort auf ein ausserordentliches historisches Ereignis. Eine explizite Fragestellung hätte das darin aufscheinende «Kriegsbild» als Funktion sowohl der sozialen Stellung der Autoren, ihres Publikums, der zeitgenössischen Politik und der von den Chronisten gewählten literarischen Form hervorheben können. So aber enttäuscht diese mit viel Fleiss entstandene Arbeit. Regula Schmid (Zürich) traverse ­ Zeitschrift für Geschichte ­ Revue d'histoire 2000 / 02