NS-Filme in der Schweiz
Eine Dokumentation von Ernest Prodolliet
«Wenn in deutschen Filmen der Held mit einem Übermass an Heldischem und
seine Gegenspieler mit einem Übergewicht an Karikatur dargestellt werden,
so liegt diese theatralische Schwarz-Weiss-Manier dem Filmschweizer, der
sich so lebhaft mit dem realistischen Dokumentarfilm beschäftigt, sehr
wenig, und man müsste sein geistiges Wesen umkrempeln, wenn er sie goutieren
sollte.» Der Satz stammt von Edwin Arnet und steht in seinem am 21. 2. 1940
in der NZZ erschienenen Artikel «Der deutsche Film in der Schweiz. Eine
Klarstellung». Nicht von ungefähr zitiert der Freiburger Filmhistoriker
Ernest Prodolliet die Passage in seiner willkommenen Dokumentation zur
Präsenz und Rezeption des nationalsozialistischen Films in der Schweiz
zwischen 1933 und 1945.
Als nationalsozialistisch ist in diesem Zusammenhang ein Film definiert,
der das Prädikat «staatspolitisch besonders wertvoll» beziehungsweise
«staatspolitisch wertvoll» durch das Propagandaministerium respektive
dessen «Filmoberprüfstelle» erhalten hatte. Von den 1113 Spielfilmen der
Jahre 1933-45 erhielten nur deren 90, entsprechend 8 Prozent, diese
Auszeichnung. Davon wiederum dokumentiert Prodolliets Untersuchung 58
Titel, «deren Aufführung, Nennung oder Verbot in der Schweiz in der
genannten Periode nachweisbar ist und für die eine ausreichende Information
in der Schweizer Presse vorliegt». Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt
auf Zürich. Zur Kontrolle wurde die Basler und Berner Tagespresse sowie die
Filmpresse beigezogen.
Im grossen und ganzen ist der Schweizer Kritik ein bemerkenswertes
Unterscheidungsvermögen zu attestieren. Nur auf den ersten Blick dominieren
zustimmende Urteile, die - vor allem bei den Filmen von Carl Froelich, Veit
Harlan oder Wolfgang Liebeneiner - künstlerische Aspekte wie Kameraarbeit
oder schauspielerische Leistungen betreffen. Auf Anmassung und Verfälschung
historischer Sachverhalte wird ebenso scharfsichtig und mit teilweise
äusserst deutlichen Worten reagiert wie auf ideologische Tarnung, wobei die
Filme ja zum Teil von der Zensur bereits entschärft worden waren. Gerne
hätte man etwas über die Verleihfirmen erfahren, deren Werbetexte vom Autor
wiederholt als Beispiele für vorbehaltlose Übernahme der Nazi-Propaganda
angeführt werden. Interessant zu sehen ist aber auch, dass sich der
«Filmschweizer» sein Teil offensichtlich selber dachte und den
NS-Produktionen nur in Ausnahmefällen zu längeren Laufzeiten verhalf.
Christoph Egger
Ernest Prodolliet: Der NS-Film in der Schweiz im Urteil der Presse
1933-1945. Chronos-Verlag, Zürich 1999. 231 S., Fr. 48.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FILM 03.09.1999 Nr. 204 68