Abgrenzung und Annäherung
Ein Aufsatzband über deutsche Kinderliteratur und die Schweiz
gew. In welchem Masse Sprache auch politisches Instrument ist, dafür ist
das Verhältnis der Schweiz und ihrer deutschsprachigen Bewohner zu
Deutschland ein gutes Beispiel. Und da der aufgeklärte Mensch besonders im
Umgang mit Kindern gerne grundsätzlich wird, ist ein Blick auf die
diesbezügliche Haltung in der Schweizer Kinder- und Jugendliteratur der
vergangenen 200 Jahre ein geeigneter Gradmesser für Phasen der Abgrenzung
bzw. Annäherung an das Nachbarland. Im Band «Nebenan. Der Anteil der
Schweiz an der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur» ,
herausgegeben vom Schweizerischen Jugendbuchinstitut in Zürich, sind
Aufsätze gesammelt, die einen Überblick über die Forschungslage zur
Schweizer Kinderliteratur im In- und im deutschsprachigen Ausland geben.
Einen Schwerpunkt stellt darin das Verhältnis von deutscher Standardsprache
zu Schweizer Mundart im Schreiben für Kinder dar. Ein sehr fruchtbarer
Ansatz, wie sich zeigt. Daneben werden Klassiker unter neuen Aspekten
betrachtet (Gotthelfs «Der Knabe des Tell» und Spyris «Heidi»),
zeitgenössische Werke analysiert (etwa die Bücher von Jürg Schubiger und
Hanna Johansen), als «Literatur in Bildern» findet auch die französische
Schweiz einen Platz in diesem deutschorientierten Zusammenhang (die
Illustratoren Rodolphe Toepffer und Etienne Delessert), und einzelne
Persönlichkeiten werden als Vermittler früher Kinderliteratur neu
beleuchtet (Johann Michael Armbruster und August Corrodi). Ein Sammelband,
der nicht nur erstaunliche Zusammenhänge aufzeigt, sondern auch zu manch
überraschenden Einsichten verhilft.
Nebenan. Der Anteil der Schweiz an der deutschsprachigen Kinder- und
Jugendliteratur. Hrsg. vom Schweizerischen Jugendbuchinstitut.
Chronos-Verlag, Zürich 1999. 324 S., Fr. 44.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 22.03.2000 Nr. 69 67