Zürcher Jünglinge
lx. Zwischen den Jahren 1762 und 1767 erlebte Zürich ein kulturpolitisches
Phänomen, das späterhin als «patriotische Gärung der sechziger Jahre»
erinnert worden ist: eine von Johann Jakob Bodmer inspirierte Jugendbewegung
setzte sich, enthusiasmiert von Rousseauschen Idealen, für eine Erneuerung
patriotischer Tugenden ein. Unter diesen «Jünglingen» fanden sich, was
bekannt ist, Johann Caspar Lavater und Johann Heinrich Füssli (Obmann);
unter Leitung Lavaters gaben die beiden von 1765 bis Anfang 1767 eine
wöchentlich erscheinende Zeitschrift des Titels «Der Erinnerer» heraus; eine
Zeitschrift, die unzweifelhaft der Gattung der Moralischen Wochenschrift
angehörte, wiewohl deren Blütezeit eigentlich vorbei war und dieser Zürcher
«Erinnerer» gleichsam ein «Nachhinker» war. Die vorliegende Monographie
zeichnet die Umrisse der patriotischen Erneuerungsdiskurse der
Bodmer-Jünglinge nach; der Charakter des «Erinnerers» wird als «tugendvoll»
im Zeichen von Erfahrung, Genie und Gefühl begriffen - «Der Erinnerer ist
überhaupt von einer liebreichen und menschenfreundlichen Gemüthsart, und
diess ist das erste und vornehmste, was ich zu seiner Empfehlung sagen
kann», heisst es im ersten Stück des «Erinnerers». Bettina Volz-Tobler
zeichnet kenntnisreich die einzelnen Stadien dieser publizistischen
Tugend-Rebellion nach. Es sei durch diese späte Moralische Wochenschrift
auch im Zürich der 1760er Jahre so etwas wie eine «publizistische
Öffentlichkeit» geschaffen worden. 1766 übernimmt Füssli die
Herausgeberschaft; der «Erinnerer» schlägt einen zunehmend satirischen Kurs
ein, was im Januar 1767 mit zum Verbot der Zeitschrift führte.
Bettina Volz-Tobler: Rebellion im Namen der Tugend. «Der Erinnerer» - eine
Moralische Wochenschrift, Zürich 1765-1767. Chronos-Verlag, Zürich 1997.
347 S., Fr. 65.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 08.11.1997 Nr. 260 48