Rebellion im Namen der Tugend

«Der Erinnerer» – Eine moralische Wochenschrift, Zürich 1765–1767

Gebunden
1997. 348 Seiten
ISBN 978-3-905312-48-5
CHF 58.00 / EUR 34.00 
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Der Zeitraum zwischen 1762 und 1767 ist als die Epoche der «patriotischen Gärung» in die Annalen der Zürcher Geschichte eingegangen. Befeuert durch die harsche Sitten- und Kulturkritik Jean-Jacques Rousseaus wendet sich der über sechzigjährige Johann Jakob Bodmer nochmals der Politik zu. Die Generation der um 1740 Geborenen bildet sowohl sein Publikum, wie auch seine zu allem entschlossene Anhängerschaft. Schon bald drängt es die durch das Gedankengut Montesquieus, La Bruyères und Rousseaus geprägten «patriotischen Jünglinge« zur Tat. Den Auftakt bildet eine aufsehenerregende Aktion gegen den «ungerechten Landvogt» Grebel im November 1762: Johann Caspar Lavater und Johann Heinrich Füssli (Maler) verfassen eine flammende Anklageschrift gegen den korrupten Vertreter der Zürcher Obrigkeit. Dadurch wird im Zürcher Ancien Régime erstmals politische Öffentlichkeit geschaffen. Die Obrigkeit kann nicht anders, als den Landvogt abzusetzen. Für absolutistische Verhältnisse ist dies ein ganz aussergewöhnliches Ereignis. Zugleich geht aber auch eine scharfe Verwarnung an die Verfasser der Klageschrift.
Lavater knüpft an die patriotischen Bestrebungen an und wird zum (anonymen) Herausgeber einer Wochenschrift, die unter dem Titel «Der Erinnerer» die Zürcher Bürger zu einem tugendhaften Leben anspornen soll. Den ersten Jahrgang bestreitet Lavater als Herausgeber. Im zweiten Jahrgang wird er von Johann Heinrich Füssli abgelöst. Unter Füssli schlägt der «Erinnerer» einen satirischen Kurs ein, was mit zum Verbot des Blattes im Januar 1767 beiträgt.
Der «Einnerer« ist ein einzigartiges Dokument der damaligen politischen Diskussion.

Besprechungen

Zürcher Jünglinge

lx. Zwischen den Jahren 1762 und 1767 erlebte Zürich ein kulturpolitisches
Phänomen, das späterhin als «patriotische Gärung der sechziger Jahre»
erinnert worden ist: eine von Johann Jakob Bodmer inspirierte Jugendbewegung
setzte sich, enthusiasmiert von Rousseauschen Idealen, für eine Erneuerung
patriotischer Tugenden ein. Unter diesen «Jünglingen» fanden sich, was
bekannt ist, Johann Caspar Lavater und Johann Heinrich Füssli (Obmann);
unter Leitung Lavaters gaben die beiden von 1765 bis Anfang 1767 eine
wöchentlich erscheinende Zeitschrift des Titels «Der Erinnerer» heraus; eine
Zeitschrift, die unzweifelhaft der Gattung der Moralischen Wochenschrift
angehörte, wiewohl deren Blütezeit eigentlich vorbei war und dieser Zürcher
«Erinnerer» gleichsam ein «Nachhinker» war. Die vorliegende Monographie
zeichnet die Umrisse der patriotischen Erneuerungsdiskurse der
Bodmer-Jünglinge nach; der Charakter des «Erinnerers» wird als «tugendvoll»
im Zeichen von Erfahrung, Genie und Gefühl begriffen - «Der Erinnerer ist
überhaupt von einer liebreichen und menschenfreundlichen Gemüthsart, und
diess ist das erste und vornehmste, was ich zu seiner Empfehlung sagen
kann», heisst es im ersten Stück des «Erinnerers». Bettina Volz-Tobler
zeichnet kenntnisreich die einzelnen Stadien dieser publizistischen
Tugend-Rebellion nach. Es sei durch diese späte Moralische Wochenschrift
auch im Zürich der 1760er Jahre so etwas wie eine «publizistische
Öffentlichkeit» geschaffen worden. 1766 übernimmt Füssli die
Herausgeberschaft; der «Erinnerer» schlägt einen zunehmend satirischen Kurs
ein, was im Januar 1767 mit zum Verbot der Zeitschrift führte.

Bettina Volz-Tobler: Rebellion im Namen der Tugend. «Der Erinnerer» - eine
Moralische Wochenschrift, Zürich 1765-1767. Chronos-Verlag, Zürich 1997.
347 S., Fr. 65.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 08.11.1997 Nr. 260 48