Aktuelles Schweizer Kinderbuchschaffen
Ein lexikalisches Standardwerk
Kinder- und Jugendbücher werden häufig als Einzelwerke wahrgenommen, nur
selten gelingt es Autorinnen und Autoren, aus dem Schatten ihrer Titel zu
treten. Dazu kommt, dass sich die Autorschaft besonders im
Kinderbuchbereich (weniger bei den Jugendbüchern) meist auf eine
buchstäbliche und eine bildliche Ebene und somit auf mehrere Namen verteilt.
In einem im Herbst frisch für die Frankfurter Buchmesse aus der Taufe
gehobenen, nach biographischen Gesichtspunkten konzipierten lexikalischen
Standardwerk hat das Schweizerische Jugendbuchinstitut in Zürich einen
entscheidenden Beitrag zur Personalisierung des aktuellen Kinder- und
Jugendbuchschaffens der Schweiz geleistet: «Schreiben und Illustrieren für
Kinder» heisst der quartformatige Band, der alle Schreibenden und
Illustrierenden in diesem Land vorstellt, die im Zeitraum zwischen 1991 und
1997 zumindest ein Werk veröffentlicht haben - dazu gehören natürlich auch
diejenigen, welche die Schweizer Kinderliteratur seit Jahrzehnten prägen,
von Hans Manz über Hanna Johansen und Käthi Bhend bis zum Erfolgsduo Jörg
Müller/Jörg Steiner. Doch auch die vielen «Unbekannten» sind vertreten, all
jene, die vielleicht nur ein einziges Kinderbuch verfasst haben, die gerade
erst ihr Début als Bilderbuchkünstler gegeben haben oder die ihre Werke in
kleinen Verlagen mit geringer Reichweite publizieren.
Die grosse Mehrheit der 190 erfassten Personen ist in der deutschsprachigen
Verlagslandschaft zu Hause - die jüngste Entwicklung der Kinderliteratur der
Deutschschweiz wird in einem Aufsatz von Anna Katharina Ulrich
phänomenologisch durchleuchtet. Verena Rutschmann (sie ist auch für die
Gesamtredaktion verantwortlich) weist in der Einleitung auf die Tatsache
hin, dass in der italienischen Schweiz grundsätzlich wenig für Kinder
publiziert wird, weshalb das Tessin im Lexikonteil nur mit insgesamt neun
Autoren und Illustratorinnen in Erscheinung tritt. Ein bisschen anders zeigt
sich die Situation für das französischsprachige Kinderbuchschaffen in
diesem Land. Denise von Stockar sieht die literarische Tradition der
protestantischen Romandie als einen Grund dafür, dass sich die künstlerische
Originalität mehr im bildlichen als im textlichen Bereich findet: «Des
images à la place de paroles» hat sie ihren diesbezüglichen Essay betitelt.
«Schweizer Bilderbücher und ihre Bezüge zur Kunst» untersucht ein weiterer
einführender Beitrag von Regine Helbling.
Das Herz des Bandes aber ist sein Lexikonteil. Er erleichtert nicht nur die
Arbeit derer, die sich in der Schweiz beruflich mit Kinder- und
Jugendliteratur befassen, er ermöglicht grundsätzlich allen Interessierten
einen ebenso anregenden wie einfachen Zugang zum zeitgenössischen Schaffen.
Für die graphische Gestaltung wurde der Umstand fruchtbar gemacht, dass man
u. a. die renommiertesten Buchgestalter(innen) des Landes zu porträtieren
hatte. Neben einzelnen schwarzweiss reproduzierten Werkbeispielen wurden
deshalb noch 48 farbige Bildtafeln eingeschoben, welche die eindrückliche
Vielfalt an illustratorischen Stilen und kinderliterarischen Themen
erlebbar machen. Eine Kurzbiographie (samt Photo) sowie eine vollständige
Bibliographie bilden die Basis des einzelnen Lexikonartikels, sie finden
sich ergänzt durch Hinweise auf weiterführende Texte (in Zeitungen,
Zeitschriften oder sonstigen Periodika). Im Falle der renommierteren
Autorinnen und Illustratoren sind auch Ausschnitte aus Sekundärtexten
abgedruckt - manchmal auch persönliche Kommentare der Porträtierten. - Was
das Schweizerische Jugendbuchinstitut mit diesem Band geschaffen hat, ist
schwergewichtiger, als man auf den ersten Blick vermuten mag; wurde doch
das aktuelle Schweizer Kinder- und Jugendbuchschaffen erstmals in einen
Rahmen gefasst, der einen wirklich professionellen Zu- und Umgang fördert.
Gerda Wurzenberger
Schreiben und Illustrieren für Kinder. Das aktuelle Kinderbuchschaffen in
der Schweiz. Hrsg. vom Schweizerischen Jugendbuchinstitut. Chronos-Verlag,
Zürich 1998. 200 S., Fr. 48.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 27.01.1999 Nr. 21 45