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«Ich hasse nicht die Schweiz, sondern die Verlogenheit»

Das Schweiz-Bild in Max Frischs Werken «Graf Öderland», «Stiller» und «achtung: die Schweiz» und ihre zeitgenössische Kritik

Broschur
1998. 475 Seiten
ISBN 978-3-905312-72-0
CHF 68.00 / EUR 39.00 
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Die Schweiz und die «Verlogenheit» - ein Thema, das im Zuge der jüngsten Auseinandersetzung um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wieder aktuell geworden ist. Die Studie zeigt mit dem Nachzeichnen der Beziehung zwischen Max Frisch und der Schweiz auf, dass Frisch diese «Verlogenheit» zwar schon in den 50er Jahren zu thematisieren begann, die Kritik aber nicht ins Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten drang. Bei der Untersuchung der Pressereaktionen werden einige typische Mechanismen sichtbar, die dazu dienten, kritische Fragen in der Schweizer Öffentlichkeit zu ersticken, Schweiz-Kritiker persönlich zu diskreditieren und das Nachdenken über eine andere Schweiz gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Es werden nicht nur die Wechselbeziehungen zwischen dem dominierenden Schweiz-Bild und Frischs alternativen Vorstellungen analysiert, es wird auch den unterschiedlichen Ästhetikvorstellungen nachgegangen: Die Schweizer Literaturkritik trug mit ihrer an der Klassik ausgerichteten «Autonomieästhetik» zur Stabilisierung des Leitbildes Schweiz bei. Dagegen versuchte Frisch die strikte Trennung zwischen Politik und Literatur mit einer «Ästhetik des kritischen Engagements» aufzubrechen.
Die Untersuchung setzt mit «Graf Öderland» ein, weil dieses Theaterstück zum ersten Mal Frischs gewandeltes Verhältnis zur Schweiz offensichtlich werden liess; die Reaktionen der Presse auf «Stiller» und «achtung: die Schweiz» bewogen Frisch, dann auch diese durchaus noch konstruktive Phase zu verlassen in Richtung radikaler Destruktion des Mythos Schweiz. Die Reaktionen der Schweizer Öffentlichkeit bestimmten massgeblich Frischs weiteres Verhältnis zu seinem Heimatland. Danach findet sich kein Text mehr, worin er einen positiven Gegenentwurf zur bestehenden Schweiz formuliert hätte. Frisch und die Schweiz, die Schweiz und Frisch: Im Rückblick eine verpasste Chance - für die Schweiz!

Besprechungen

Max Frisch und die Schweiz

rbl. «Ich hasse nicht die Schweiz, sondern die Verlogenheit.» Die Worte hat
Max Frisch 1954 dem Protagonisten seines Romans «Stiller» in den Mund
gelegt. Der Satz wird indessen auch für Frisch selber Gültigkeit gehabt
haben: wie kaum ein anderer hat sich Frisch, von wenigen Unterbrechungen
abgesehen, zeit seines Lebens mit dem Schweizerischen an der Schweiz
kritisch auseinandergesetzt. Aus seinem Unbehagen an der Schweiz entstand
ein langes Unbehagen der Schweizer Literaturkritik an Frisch. Diese
schwierige und mit Zündstoff geladene Dreieckskonstellation wird in einer
lesenswerten und materialreichen Dissertation der Zürcher Germanistin Sonja
Rüegg ausgeleuchtet. Mit grosser Akribie und Umsicht untersucht sie anhand
dreier Schlüsselwerke Frischs aus den fünfziger Jahren («Graf Öderland»,
«Stiller» und «achtung: die Schweiz») die produktions- und
rezeptionsästhetischen Voraussetzungen der vielfach uneingestandenen
Schwierigkeiten, die die zeitgenössische Literaturkritik mit der
gesellschaftspolitischen Seite in Frischs Werken bekundete. Mit
einlässlichen Textanalysen sowohl der Primärtexte wie der zeitgenössischen
Rezensionen führt Rüegg den Nachweis, dass man gegenläufig zu Max Frischs
Intentionen sein Konzept einer gesellschaftlich engagierten Ästhetik
hartnäckig zugunsten einer vom Politischen autonomen Ästhetik
herunterspielte. Freilich waren das schon damals Rückzugsgefechte einer
Literaturkritik, die nach dem Zürcher Literaturstreit von 1966 vollends ins
Abseits geriet. Bei Max Frisch hatte das mangelnde Verständnis für seine
ästhetischen Anliegen dennoch zu Verbitterung und zu seiner zeitweisen
Abwendung von der Schweiz geführt.

Sonja Rüegg: «Ich hasse nicht die Schweiz, sondern die Verlogenheit». Das
Schweiz-Bild in Max Frischs Werken «Graf Öderland», «Stiller» und «achtung:
die Schweiz» und ihre zeitgenössische Kritik. Chronos-Verlag, Zürich 1998.
475 S., Fr. 68.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 13.03.1999 Nr. 60 68