Schön war draussen …

Aufzeichnungen eines 19jährigen Juden aus dem Jahre 1945

ZeitZeugnisse
Broschur
1995. 148 Seiten
ISBN 978-3-905311-75-4
CHF 32.00 / EUR 32.00 
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«Ich schau auf den Himmel und die Sterne und ich denke wie schön ist die Natur wie schön ist die Nacht und wie schlecht sind die Menschen. O, den Himmel und die Sterne, ich sehe sie jezt zum lezten mal, Morgen fruh wan die Sonne aufgehen wird, dan wird schon der wind tragen die Reste von meinem Körper welche werden in der vorm von Rauch und Asche herausgetragen ...»

19 Jahre jung kommt Max Perkal, polnischer Jude, im Sommer 1945 zusammen mit 350 Jugendlichen in die Schweiz. Jahre der Not, Entbehrungen und Qualen in Konzentrationslagern liegen hinter ihnen; am Verlust von Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden tragen sie schwer. An stillen Abenden im Heim auf dem Zugerberg schreibt sich Max Perkal Schmerz, Trauer und Wut von der Seele, vergegenwärtigt sich das grauenvolle Geschehen unter anderen in den Lagern Auschwitz und Buchenwald. Trotz allem entbehrt dieses Dokument nicht der Poesie, und zwar nicht nur dort, wo sich der Autor der schönen Zeiten in seinem polnischen Heimatstädtchen Pruzany erinnert.

Drei Schulhefte füllt der jugendliche Autor in einer ganz eigenen Sprache, die Züge sowohl seiner Muttersprache Jiddisch als auch des Deutschen trägt. Um den Klang und die Eigentümlichkeit dieser Sprache nicht zu zerstören, wird das Original in unveränderter Weise publiziert. Ergänzt wird es durch eine Übertragung ins Englische, durch einen Text von Charlotte Weber, der ehemaligen Flüchtlingsbetreuerin und Hüterin der Hefte Perkals, sowie einen Epilog des Psychoanalytikers und Schriftstellers Aron Ronald Bodenheimer, der schreibt: «Wer dies liest und sich ihm nicht entzieht, wird ahnen, worum es geht - oder gehen sollte -, wenn die Rede ist von Dichten nach Auschwitz.»

Textauszug

Es war schon ganz spet, im Lager war schon alles ruhig, nur bei uns im Revir hat sich von verschiedene Seiten geneert das Jamern von die kranke Kam. Mit grosse Mühe bin ich von der Box inunter und zum Fenster zugekletert. Schön war Drausen. Schnell habe ich geatmet mit die frische Frühlings Luft, welche ist auch hier ereingedrungen in die Finstere Strassen von KZ Buchenwald. Und so schauendig erum habe ich mir erinert an meine Kinder Jahre. Ich habe gesehen vor mir die grosse breite Felder welche waren voll bedeckt mit verschiedene Getreide. Ich habe gesehen vor mich die schöne kleine Frülings Fögelchen welche haben so wunderschön gesungen. Und jetzt, jetzt stehe ich da im Fenster und denke das, das ist mein lezter Abend der letzter mal was ich sehe den Himmel und die Sterne. Die selbe gute Frühlings Luft war dass, der selber Himmel, und warum muss ich das jezt verlassen? Warum muss ich mir scheiden mit dieser schöner Frühlings Welt.


Pressestimmen

«Das Einzigartige an diesem knappen Text ist nicht nur, dass es Max Perkal gelang, sich ‹freizuschreiben› und sich damit die Möglichkeit eines Lebens nach Auschwitz zu eröffnen. […] Bewegend an diesem Buch sind die Gradheit der Beschreibung, die genaue Beobachtung dessen, was aussen und innen geschieht.»

Tages-Anzeiger

«Erschütternd, grossartig, wie der Autor den Weg findet zwischen konkretester ­ körperlicher ­ Direktheit und tastender Abstraktion. […] Gerade dadurch, dass er nicht über eine Sprache verfügt, sondern sie als Anfänger von Satz zu Satz erarbeitet, sie formt und modelliert, gewinnt sie die Kraft des neuen Blicks und des neuen Klangs.»

Neue Zürcher Zeitung

Besprechungen

«Meinen Feinden zeigen, dass ich noch lebe» Aufzeichnungen über Auschwitz von Max Perkal

Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Wir sind zuständig. Hans Sahl

Der Autor ist nicht Schriftsteller, doch sein Buch ist Literatur. Der heute 70jährige amerikanische Kaufmann Max Perkal hat eine eigene Sprache geschaffen, eine Mischung aus Jiddisch und Deutsch. Das war 1945. Der damals Neunzehnjährige hatte zwei Jahre Auschwitz und einige Wochen Buchenwald hinter sich. In einem Erholungsheim auf dem Zugerberg füllte er in wenigen Wochen drei Schulhefte, gab sich und andern Rechenschaft über die überstandenen Schrecken. Die Flüchtlingsmutter Charlotte Weber aus Zürich bewahrte die Niederschrift. Ihm selber hätten seine jiddische Muttersprache aus dem polnischen Städtchen Pruzany und die hebräischen Buchstaben wohl genügt, für jene andern aber war das Deutsche gedacht und die lateinische Schrift. Sie sollten erfahren, was da war, vor allem aber, dass er noch da war - gegen alle Wahrscheinlichkeit. Das wollte man damals offenbar nicht wissen, und erst heute kann man den ausserordentlichen Text lesen. Max Perkal hat ihn unter dem Titel «Schön war draussen . . . Aufzeichnungen eines 19jährigen Juden aus dem Jahre 1945» auf Betreiben seiner Tochter veröffentlicht.
[...]
Sich erinnern ist ein Stichwort in Perkals Schrift: «dermonen» heisst bei ihm das Wort, und damit fängt er auch an: «Ich fiele grosse schmerzen . . . wen ich hoib mich on zu dermonen die schreckliche Nacht, in welcher ich habe mir gemusdt schejden mit meine teierste und liebste, was ich habe gehat. Das is gewesen die Nacht von 28 auf 29 Januar 1943 . . .» Die ganze Familie stirbt in ihrer ersten Nacht in Auschwitz, ausser Max. Der kräftige Siebzehnjährige wird für den «Ordnungsdienst» eingesetzt, was auch das Wegschaffen der Leichen bedeutet. Erinnerungsarbeit hält den Jungen am Leben, selbst dann, wie er, todkrank, seine Glieder absterben fühlt. Er weckt Lebensgeister, indem er sich zurückversetzt in den Hof seines Elternhauses, wo er einst mit dem Hund herumgetollt ist. Was er am wenigsten erträgt, ist der Gedanke, dass kein einziger Mensch wüsste, «wo wann und wiso ich umgekommen bin . . . Und ein grosser und starke Willen zum Leben hat sich in mir geschafen.» So wollte er, zwischen Ausgeliefertsein und Trotz, sein eigener Zeuge sein und den Beweis für seine Existenz an treten. Das tut er nun in einer Sprache, die er sich mühsam erfindet, ja zurechtbaut. Erschütternd, grossartig, wie der Autor den Weg findet zwischen konkretester - körperlicher - Direktheit und tastender Abstraktion. «Werden wir noch mit unsere Kreften von diese Wagongs aussteigen, oder wird man uns inuntertragen in dem aussehen von leichen?» fragt er etwa, oder: «Und dan am Frühling, wan der Schnee wird in Wasser verwandelt werden, sollen meine Knochen für Hunde oder Vogel als Schpeise dinen. Nein, ich will noch Leben.»
Gerade dadurch, dass er nicht über eine Sprache verfügt, sondern sie als Anfänger von Satz zu Satz erarbeitet, sie formt und modelliert, gewinnt sie die Kraft des neuen Blicks und des neuen Klangs. So gerät Perkal absichtslos in die Nähe dessen, was Ernst Jandl Jahrzehnte später als Poesie der im Wortsinn «heruntergekommenen» Sprache hochartistisch konstruiert hat.

Beatrice von Matt

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 28.05.1996 Nr. 121 35

Diee Buchreihe ist aus der Idee erwachsen, relevante Quellentexte lebender und verstorbener Menschen sowohl der Forschung als auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dabei kann es sich um Reprints vergriffener Berichte handeln, wie zum Beispiel «Im Lande des Blutes und der Tränen», ein Augenzeugenbericht des Völkermordes an den Armeniern, oder um Editionen von Tagebüchern und Briefwechseln.