«Meinen Feinden zeigen, dass ich noch lebe» Aufzeichnungen über Auschwitz von Max Perkal
Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Wir sind zuständig. Hans Sahl
Der Autor ist nicht Schriftsteller, doch sein Buch ist Literatur. Der heute 70jährige amerikanische Kaufmann Max Perkal hat eine eigene Sprache geschaffen, eine Mischung aus Jiddisch und Deutsch. Das war 1945. Der damals Neunzehnjährige hatte zwei Jahre Auschwitz und einige Wochen Buchenwald hinter sich. In einem Erholungsheim auf dem Zugerberg füllte er in wenigen Wochen drei Schulhefte, gab sich und andern Rechenschaft über die überstandenen Schrecken. Die Flüchtlingsmutter Charlotte Weber aus Zürich bewahrte die Niederschrift. Ihm selber hätten seine jiddische Muttersprache aus dem polnischen Städtchen Pruzany und die hebräischen Buchstaben wohl genügt, für jene andern aber war das Deutsche gedacht und die lateinische Schrift. Sie sollten erfahren, was da war, vor allem aber, dass er noch da war - gegen alle Wahrscheinlichkeit. Das wollte man damals offenbar nicht wissen, und erst heute kann man den ausserordentlichen Text lesen. Max Perkal hat ihn unter dem Titel «Schön war draussen . . . Aufzeichnungen eines 19jährigen Juden aus dem Jahre 1945» auf Betreiben seiner Tochter veröffentlicht.
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Sich erinnern ist ein Stichwort in Perkals Schrift: «dermonen» heisst bei ihm das Wort, und damit fängt er auch an: «Ich fiele grosse schmerzen . . . wen ich hoib mich on zu dermonen die schreckliche Nacht, in welcher ich habe mir gemusdt schejden mit meine teierste und liebste, was ich habe gehat. Das is gewesen die Nacht von 28 auf 29 Januar 1943 . . .» Die ganze Familie stirbt in ihrer ersten Nacht in Auschwitz, ausser Max. Der kräftige Siebzehnjährige wird für den «Ordnungsdienst» eingesetzt, was auch das Wegschaffen der Leichen bedeutet. Erinnerungsarbeit hält den Jungen am Leben, selbst dann, wie er, todkrank, seine Glieder absterben fühlt. Er weckt Lebensgeister, indem er sich zurückversetzt in den Hof seines Elternhauses, wo er einst mit dem Hund herumgetollt ist. Was er am wenigsten erträgt, ist der Gedanke, dass kein einziger Mensch wüsste, «wo wann und wiso ich umgekommen bin . . . Und ein grosser und starke Willen zum Leben hat sich in mir geschafen.» So wollte er, zwischen Ausgeliefertsein und Trotz, sein eigener Zeuge sein und den Beweis für seine Existenz an treten. Das tut er nun in einer Sprache, die er sich mühsam erfindet, ja zurechtbaut. Erschütternd, grossartig, wie der Autor den Weg findet zwischen konkretester - körperlicher - Direktheit und tastender Abstraktion. «Werden wir noch mit unsere Kreften von diese Wagongs aussteigen, oder wird man uns inuntertragen in dem aussehen von leichen?» fragt er etwa, oder: «Und dan am Frühling, wan der Schnee wird in Wasser verwandelt werden, sollen meine Knochen für Hunde oder Vogel als Schpeise dinen. Nein, ich will noch Leben.»
Gerade dadurch, dass er nicht über eine Sprache verfügt, sondern sie als Anfänger von Satz zu Satz erarbeitet, sie formt und modelliert, gewinnt sie die Kraft des neuen Blicks und des neuen Klangs. So gerät Perkal absichtslos in die Nähe dessen, was Ernst Jandl Jahrzehnte später als Poesie der im Wortsinn «heruntergekommenen» Sprache hochartistisch konstruiert hat.
Beatrice von Matt
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 28.05.1996 Nr. 121 35
«Das Einzigartige an diesem knappen Text ist nicht nur, dass es Max Perkal gelang, sich ‹freizuschreiben› und sich damit die Möglichkeit eines Lebens nach Auschwitz zu eröffnen. […] Bewegend an diesem Buch sind die Gradheit der Beschreibung, die genaue Beobachtung dessen, was aussen und innen geschieht.»
«Erschütternd, grossartig, wie der Autor den Weg findet zwischen konkretester körperlicher Direktheit und tastender Abstraktion. […] Gerade dadurch, dass er nicht über eine Sprache verfügt, sondern sie als Anfänger von Satz zu Satz erarbeitet, sie formt und modelliert, gewinnt sie die Kraft des neuen Blicks und des neuen Klangs.»