Heimatlose und Nicht-Sesshafte in der Schweiz (16.–19. Jahrhundert)
Obwohl Mobilität und Migration heute den öffentlichen Diskurs in hohem Mass prägen, bleibt Sesshaftigkeit das dominierende kulturelle Muster europäischer Gesellschaften. Eine sesshafte Lebensweise ist Voraussetzung dafür, dass Heimat empfunden und Zugehörigkeit erlebt werden kann. In der Schweiz garantiert die Institution des Bürger- oder Heimatrechts den Fortbestand einer an den Ort gebundenen Vorstellung von einem Leben in Gemeinschaft. Schweizerinnen und Schweizer werden erst als Angehörige einer Gemeinde zu partizipationsberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft und des Staates. Fremdsein bedeutet, über kein solches Heimatrecht zu verfügen. Den Menschen, die von diesem als defizitär empfundenen Zustand betroffen sind, begegnen Gesellschaft und Staat bis heute mit Argwohn. Kontroll- und Zwangsmassnahmen sind die Folgen dieser Wahrnehmung.
Das Buch ist den Entstehungsprozessen solcher Phänomene vom 16. bis ins 19. Jahrhundert gewidmet. Schwerpunkt der Untersuchung ist die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der Heimat- und Bürgerrechte verbindet sich in der Darstellung mit der Geschichte des Fremdseins in der Schweiz. Angelpunkte bilden das Gesetz von 1850 zur Einbürgerung der Heimatlosen und die damit intensivierten Massnahmen gegen die in der Schweiz lebenden nichtsesshaften Bevölkerungsgruppen. Die Autoren füllen damit bislang bestehende Forschungslücken im Bereich der Rechts-, Verwaltungs-, Sozial- und Kulturgeschichte. Die Diskussion um die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft wird um wichtige Aspekte erweitert und die Geschichte der Kultur der Fahrenden erscheint in einem neuen Licht. Die Homogenisierung der fahrenden Kultur zur Kultur der Jenischen wird als Parallelprozess zur Homogenisierung der bürgerlichen Kultur der Sesshaftigkeit thematisiert. Die jenische und die bürgerliche Kultur haben als aufeinanderbezogene Vergesellschaftungsprozesse dieselbe Geburtsstunde.