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Die Schweiz und das Gold der Reichsbank

Was wusste die Schweizerische Nationalbank?

Broschur
1997. 147 Seiten
ISBN 978-3-905312-36-2
CHF 32.00 / EUR 18.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • Einblick
  • In den Medien

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat bis vor kurzem geleugnet, dass sie gewusst habe, woher das vom Deutschen Reich gekaufte Gold stammte. Heute wissen wir, dass es sich auch um Raub- und um Totengold gehandelt hat.
Haben die Nationalbankdirektoren die Herkunft des Goldes aus dem Deutschen Reich einfach ignoriert, waren sie naiv oder haben sie gar gelogen? Haben sie gezielt mit dem Deutschen Reich zusammengearbeitet, wie oft behauptet wird? Wie hoch schätzte man die Vorkriegs-Goldreserven der Deutschen Reichsbank? Wusste man, dass Gold auch aus Holland und Belgien stammte? Wurden Vorsichtsmassnahmen getroffen? Wurde der Bundesrat auf dem laufenden gehalten?
Der Autor durchkämmt minutiös das gesamte Quellenmaterial der Nationalbank, um den damaligen Wissensstand möglichst genau zu eruieren. Die präzisen Fragen ermöglichen ebensolche Antworten, die im damaligen wirtschaftlichen und politischen Kontext interpretiert werden. Die Rolle des Goldes für den Geldmarkt und für den Handel, die Neutralität sowie die wirtschaftliche Abschreckung gegenüber Deutschland dienen als Erklärungsrahmen, um die Politik der Schweizerischen Nationalbank während des Krieges besser verstehen zu können. Ausführliche Tabellen dokumentieren sämtliche Goldtransaktionen der SNB von 1940 bis 1945.
Eine knappe, seriöse Studie, die nicht Polemiken anheizt, sondern Klarheit schafft.

Inhalt

Einleitung
Das Thema Raubgold in der Historiographie
Problemstellungen
Die Quellen und ihre Zuverlässigkeit
Funktion und Organe der Schweizerischen Nationalbank

Der Franken, das Gold und der Krieg
Der Schweizer Franken und der Krieg
Blockiertes und verfügbares Gold
Der Goldhandel in der Gesetzgebung

Das Gold der Reichsbank
Goldbarren und Goldmünzen
Das Gold aus den Zentralbanken und den Konzentrationslagern
Anvertrautes, gestohlenes oder beschlagnahmtes Gold?

Ein Verdacht, aber keine Vorsichtsmassnahmen (vor Sommer 1943)
Wo ist das Gold der Zentralbanken? Die Informationspolitik der Schweizerischen Nationalbank
Die Goldreserven der Reichsbank und ihre Einschätzung durch die Schweizerische Nationalbank
Das Raubgold: Ein bekanntes Problem
Umschmelzen: die Antwort auf ein Risiko?

Der Umgang mit einem Risiko (seit Sommer 1943)
Hinterfragungen
Vorsichtsmassnahmen
Die Warnung von 1944 und ihre Konsequenzen

Die Funktionen des Goldes und die Haltung der Schweizerischen Nationalbank
Beschränkter Handlungsspielraum
Verdächtige Unvorsichtigkeiten

Die Schweizerische Nationalbank, das Washingtoner Abkommen und die Nachkriegsperiode
Das Thema Raubgold in Washington
Das niederländische Gold
Spaltung innerhalb der Schweizerischen Nationalbank

Schlussfolgerung
Résumé
Eine Rückerstattung in Sicht?


Besprechungen

Schatten des Zweiten Weltkriegs

Was wusste die Schweizer Nationalbank?

Eine Studie von ungeahnter Aktualität

Wann konnten die Verantwortlichen der Schweizer Nationalbank (SNB) ahnen,
dass ihr die Reichsbank Raubgold lieferte? Dies ist die Ausgangsfrage Michel
Fiors, dessen 1995 begon nene Neuenburger Lizentiatsarbeit aus bekannten
Gründen ungeahnte Aktualität erfuhr, ihren Ver fasser als Mitarbeiter der
Historikerkommission empfahl und jetzt überarbeitet auf deutsch vor liegt.
Mit der Eingangsfrage verbunden ist die wohl noch wichtigere - und
umstrittenere - Frage: Weshalb kaufte die SNB verdächtiges Gold auch dann
an, als sie wissen musste, wel ches Risiko sie damit einging?

Schon 1940 klare Hinweise

Fior stützt sich vor allem auf Akten des SNB- Archivs und zeigt, was wann
bekannt war: so die Gold-Requisitionen in Belgien und den Nieder landen
(erste Nachrichten im Juli 1940), auch bei Privaten (Oktober 1940) und der
Transfer der Beute nach Deutschland (Anfang 1941). Hinsicht lich der
Lieferungen in die Schweiz mussten Ver dacht wecken umgeschmolzene Barren
mit Präge datum 1942, die Zurückhaltung Portugals beim Ankauf deutschen
Golds («aus Gründen recht licher Vorsicht», Oktober 1942) sowie der - uner
füllte - Wunsch der Reichsbank, die SNB solle aus Deutschland angelieferte
Barren umschmel zen (Dezember 1942). Die ersten inoffiziellen Warnungen der
Alliierten stammten vom Februar 1942, die erste offizielle vom Januar 1943.
Im Sommer desselben Jahres folgten kritische Be richte in der westlichen
Presse, Schweden begann, von Goldlieferungen der Reichsbank Abstand zu
nehmen, und der Gouverneur der Vichy-Natio nalbank, Bréart de Boisanger,
warnte das SNB- Direktorium vor dem Ankauf des - ursprünglich - belgischen
Golds. Im August 1943 äusserte Gottlieb Bachmann, der Präsident des Bankaus
schusses (SNB-Kontrollorgan), harsche Kritik an den unvorsichtigen
Goldkäufen. Die verschiede nen Signale des Sommers 1943 hätten - so betont
Fior - «Vorsichtsmassnahmen» der SNB zur Folge gehabt: Man erkundigte sich -
mündlich - nach der Herkunft der Barren - und glaubte den Lügen des
Reichsbank-Vizepräsidenten Puhl, der auf die (gefälschten) Vorkriegsstempel
der umge schmolzenen Goldbarren verweisen konnte. Man bemühte sich, die
deutschen Vorkriegsbestände genauer abzuschätzen, bat schüchtern - und er
folglos - die Nazis, strategisches Material aus Drittländern nicht mehr über
die Schweiz zu be zahlen und informierte schliesslich, im Oktober 1943,
erstmals und verklausuliert den Bundesrat über die Brisanz der
Goldgeschäfte.
Kann man die erwähnten Handlungen mit Fior tatsächlich als
«Vorsichtsmassnahmen» der SNB bezeichnen? Die Ankäufe deutschen (Raub-)
Golds liefen jedenfalls auf höchstem Niveau bis zum zweiten Quartal 1944
weiter, besonders be reitwillig offenbar im lukrativen Fall der auf dem
Markt weiterverkauften Lator-Goldmünzen; die letzten 132 Goldbarren der
Reichsbank trafen gar erst am 13. April 1945 in der Schweiz ein. «Vor
sichtsmassnahmen» gegen Deutschland, die den Namen verdienen, wurden nie
ergriffen. Erwogen wurden sie dagegen sehr wohl gegenüber den ur
sprünglichen Besitzern des Golds: So erörterte das SNB-Direktorium im Sommer
1942, ob die angekauften Barren umgeschmolzen werden soll ten, weil die
exilierten Nationalbanken deren Nummern auf Sperrlisten hätten setzen
können.
Die schwer nachvollziehbare Deutung, im Sommer 1943 habe die SNB ihre Praxis
entschei dend verändert, ist eng verbunden mit Fiors eben so
diskussionswürdiger Hauptthese: Die «Unvor sichtigkeit» der SNB bis zu
diesem Zeitpunkt sei bewusste Politik gewesen - man habe die reichlich
vorhandenen Verdachtsmomente aus Gründen der ökonomischen Dissuasion
ignoriert. Es soll hier nicht bestritten werden, dass die Goldkäufe der SNB
dissuasiv gewirkt haben können - auch wenn sie in grösserem Umfang erst im
Oktober 1941 einsetzten, als sich die deutschen Truppen an die Ostfront
verzogen hatten. Dass sie dissua siv gedacht waren, bleibt allerdings eine
unbelegte Behauptung. Die SNB-Direktoren haben sie selbst erst spät
vorgebracht, als sie bereits ihre fragwürdigen Ankäufe vor dem Bundesrat
recht fertigen mussten; doch selbst sie haben stets vor wiegend die
stabilitätspolitischen Gründe ihres Handelns betont. Aus der Zeit der
massiven Goldkäufe kann Fior keine Quelle vorlegen, die eine dissuasive
Intention belegt; und sein Haupt dokument aus der Zeit davor, vom November
1940, zeigt nur, dass SNB und Reichsbank glei chermassen die freie
Konvertibilität des Schwei zerfrankens wünschten. Dieses Ziel brauchte nicht
zwingend zum Kauf verdächtigen Golds zu füh ren, wie bereits der erwähnte
Bankausschuss-Prä sident Bachmann 1943 festhielt: «Jedes Land «kann» sich
weigern, Gold anzunehmen, ohne dass es damit seine Stellung als Goldwährungs
land aufgibt.»

Zum Teil veraltete Zahlen

Wozu sollte diese einsame patriotische Tat der SNB-Direktoren dienen, wenn
nicht einmal der Bundesrat darüber informiert wurde, geschweige denn die
schweizerischen Delegierten in den wahrhaft schwierigen
Wirtschaftsverhandlungen mit dem Dritten Reich, in denen jedes Argument
zählte? Weshalb lohnten der Bundesrat und Chef beamte wie Stucki und
Reinhardt diese angeb liche Dissuasion nach dem Krieg mit verständnis loser
Kritik und bundesgerichtlichen Unter suchungen der Goldkäufe?
Gerade wenn man Fiors Quellen betrachtet, liegt die Deutung viel näher, dass
die SNB ihre Goldkäufe als «business as usual» betrieb - auf Grund von
ökonomischen (und nicht politischen) Kriterien und Prinzipien: Goldstandard
und Kon vertibilität der Währung, ausreichende monetäre Reserve im Inland,
Deckung des Handelsbilanz defizits mit dem Ausland, Bedürfnisse der heimi
schen Industrie, Gewinne durch den Weiterver kauf von Goldmünzen. Gerade aus
dieser Logik heraus stand eine Rückgabe des geraubten Golds nie zur
Diskussion, was Fior überrascht, weil er nachweist, dass die Golddeckung des
Noten umlaufs bei einer Rückgabe 1946 nur auf den Stand von 1939 gefallen
wäre. Wären die Gold käufe dissuasiv gedacht gewesen, als vorüber gehendes
Gebot der Not, so wäre eine solche Geste denkbar gewesen; aber sie waren es
nicht.
Das Verdienst von Fiors Buch liegt darin, dass er die im Titel gestellte
Frage mit den relevanten Dokumenten beantwortet: Von gutem Glauben der
SNB-Direktion konnte nie die Rede sein. Fiors etwas sprunghafte, von
Wiederholungen nicht freie Ausführungen erschweren die Lektüre leider etwas;
Gleiches gilt von den Tabellen, die teilweise auf altem Material beruhen.
Nach den Berechnungen der SNB, die im März dieses Jah res veröffentlicht
wurden, führte die Reichsbank auf ihr Berner Depot Gold im Wert von 1,655
Mrd. Fr. ein (und nicht, wie bei Fior, 1,716 Mrd.). Auch die Zahlen über das
von dort anderen Ban ken weiterverkaufte Gold divergieren zum Teil er
heblich (Rumänien sowie die Slowakei) - insge samt war es laut SNB 445,4
(nicht 403) Mio. Fr. wert. Weshalb hier nicht auf die neusten Zahlen
zurückgegriffen wird, müsste mindestens erklärt werden. Wie wichtig dies
ist, zeigt sich etwa darin, dass Fior eine sich aus seinen Grundlagen er
gebende Lücke von 100 Mio. Fr. damit erklärt, dieses Gold sei von der
Reichsbank an schweize rische Geschäftsbanken verkauft worden. Laut Angaben
der SNB (vom Dezember 1996) haben solche Transaktionen dagegen nur 11 Mio.
Fr. ausgemacht. In welchem Umfang Geschäfts banken tatsächlich deutsches
(Raub-)Gold an kauften, ist keineswegs eine sekundäre Frage, auch wenn sie
bis jetzt eher im Hintergrund blieb.

Thomas Maissen

Michel Fior: Die Schweiz und das Gold der Reichsbank. Was wusste die
Schweizerische Nationalbank? Chronos, Zürich 1997. 147 S., Fr. 32.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung ÖKONOMISCHE LITERATUR 15.11.1997 Nr. 266 97