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Schweizerisches Landesmuseum (Hg.)
Die Erfindung der Schweiz 1848–1998
Bildentwürfe einer Nation
Gebunden
1998. 575 Seiten, durchgehend illustriert
ISBN 978-3-905312-65-2
CHF 48.00 / EUR 48.00 
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Der Band gliedert sich in fünf Hauptkapitel, die den Themenschwerpunkten der Ausstellung folgen. Jedes Kapitel enthält eine Reihe historisch und kunsthistorisch ausgerichteter Aufsätze. Sie beleuchten mannigfaltige Fragestellungen in Zusammenhang mit nationaler Identität und diskutieren diese im internationalen Kontext. Jedem Kapitel ist ein kunstwissenschaftlicher Objektkatalog angegliedert, der sämtliche Objekte der Ausstellung nennt sowie die wichtigsten mit Text, Literaturangaben und Abbildungen aufführt.
Besprechungen
Die Schweiz als Nationalstaat Neuerscheinungen zu einem problematischen Konzept tmn. Das schweizerische Jubiläumsjahr - 150 Jahre Bundesstaat - hat die Aufmerksamkeit verstärkt auf Begriffe gelenkt, die vertraut klingen und doch in ihrer Anwendung auf die Schweiz stets umstritten geblieben sind: Nation und Nationalstaat. Dank dem Jubiläumsbudget des Bundesamts für Kultur hat Tobias Kästli die «Geschichte des Nationalstaats seit 1798» verfasst, hat das Landesmuseum «Bildentwürfe einer Nation» dokumentiert und hat die Allgemeine Geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz (AGGS) Aufsätze über die «Konstruktion einer Nation» herausgegeben. Nationalstaat contra Imperialismus? Kästli schildert in drei etwa gleich grossen Teilen die Helvetik, die Vorgeschichte des Bundesstaats und den «Weg zur Gegenwart» ab 1848. Für die Jahre von 1798 bis 1848 liefert er eine manchmal etwas oberlehrerhafte, aber gut lesbare Darstellung der Verfassungs-, Ideen- und Ereignisgeschichte. Die Konfliktbereiche zwischen Alt und Neu werden durch exemplarische Exkurse vorgeführt, etwa zu einzelnen Kantonen, zu wichtigen Denkern wie Constant oder Troxler und - verdienstvollerweise - zu zentralen politischen Begriffen. Problematisch ist dagegen der dritte Teil, wo der grosse Sprung über 150 Jahre misslingt. Zu bewältigen wäre er wohl nur durch eine reflektierte Systematik anstelle einer etwas beliebigen, wenn auch politisch korrekten Narration. Kann man die Geschichte eines Nationalstaats schreiben, ohne auf das Militär, das Bildungs- und das Verkehrswesen einzugehen, die erst nationale Zusammengehörigkeit erzeugen? Zu oft finden sich simple oder schlicht falsche grosse Worte («Geschichte und Mythos waren bis zum 19. Jahrhundert eins gewesen»), zu selten werden sie auch belegt. So wirft Kästli einleitend der «nationalistischen Geschichtsschreibung» des 19. Jahrhunderts vor, sie habe die Vorstellung «völkischer Einheit» befestigen wollen; nach der Lektüre seiner Ausführungen, insbesondere zu Carl Hilty, fühlt man sich eher bestätigt, dass sie gerade das - aus offensichtlichen Gründen - nicht wollte. Nicht nur die begriffliche Unschärfe führt manchmal auf Abwege, sondern auch die edle Apologie des Nationalstaats, der im Sinne von Guéhenno oder Bourdieu als demokratisches Gegengewicht zur globalisierten Wirtschaft verstanden wird. Dieses in der omnipräsenten ersten Person Singular greifbare Bekenntnis geht aus vom Gegensatz zwischen einem «guten» Nationalstaat, der «nach innen und aussen ein friedliches Miteinander postulierte», und einem «bösen», kapitalistischen Imperialismus - als ob nicht von den Revolutionskriegen bis heute «nationale Fragen» am erfolgreichsten zum blutigen Schlachten motiviert hätten. Man darf, wie der Autor, darauf hoffen, dass der Nationalstaat der Zukunft in einer Völkerrechtsgemeinschaft aufgehoben werde; doch verkenne man darob nicht das aggressive, kriegtreiberische Potential, das der nationalen Idee von Anfang an und jenseits ökonomischer Interessen auch innewohnt. Nation als Konstruktion Kästli definiert den Nationalstaat anhand objektiver Kriterien (geschlossenes Territorium, einheitliches Recht und Volkssouveränität). Abgesehen davon, dass bei einer solchen Definition etwa das deutsche Kaiserreich von 1871 kein Nationalstaat wäre, vernachlässigt er damit die subjektive Erfahrung der Nation, das Nationalgefühl. Neuere Ansätze betonen dagegen gerade den fiktiven Charakter der Nation, die Halt gewährt, als die traditionellen personalen Bindungen etwa in Zünften, Kommunen oder feudalen Abhängigkeiten wegfallen. Diesen konstruktivistischen Charakter dokumentiert die Ausstellung «Die Erfindung der Schweiz», die gegenwärtig im Landesmuseum zu sehen ist, das seinerseits ja eine der wichtigsten Institutionen war und ist, um das nationale Selbstverständnis zu inszenieren und damit erst zu bilden. Die Behandlung der Nationen als «imagined communities» wird durch den internationalen Vergleich fruchtbar, wenn etwa Guy Marchal im Ausstellungskatalog nationalisierte Mittelalterbilder konfrontiert. Über die - auch von Kästli geleistete - reine Darstellung der mühseligen Judenemanzipation hinaus führt Patrick Kurys Frage nach der Funktion antisemitischer Aus- und Abgrenzungen: Sie erlaubt der äusserst disparaten schweizerischen Bevölkerung, sich durch eine «Negativbestimmung» als nationale Einheit zu begreifen. Vom Kantonalismus zum Nationalismus Ebenfalls hinsichtlich der «Grenzziehung» untersucht Regina Wecker die schweizerischen Einbürgerungskonzepte von 1798 bis 1998: Im 19. Jahrhundert sind der Leumund, die Konfession und die ökonomischen Verhältnisse die ausschlaggebenden Kriterien, im 20. wird die Fähigkeit zur Anpassung an eine vage «nationale Eigenart» zentral. Aufschlussreich ist das Neuenburger Beispiel, wie es, im Sammelband der AGGS, Thierry Christ vorstellt. Die «Entkantonalisierung» der Bürgerrechtskriterien, wie er sie 1889 in der Gesetzgebung festmachen kann, ist die Voraussetzung sowohl einer nationalen Identität als auch der «Ausländerfrage». Es ist also ein langer Prozess im letzten Jahrhundert, bis das «Wir»-Gefühl die im Wiener Kongress festgelegten Grenzen erreicht. Gleichsam physisch erlebt wird das Land - so Manfred Hettling im gleichen Band - durch Schweizer Reisen, Schützenfeste und Landesausstellungen. Sandro Guzzi schildert am Tessiner Beispiel die Herausbildung eines einheitlichen politisch-institutionellen Raums in Abgrenzung gegen, ja als Reaktion auf das Staatsmodell in der gleichsprachigen Nachbarschaft, die erst jetzt richtig zum «Ausland» wird. Während in der Regeneration «Nation» für die Liberalen und insbesondere für die Radikalen das Schlagwort ist, dessen wahre Entsprechung nur der postulierte Bundes- oder Einheitsstaat werden kann (Ursula Meyerhofer), dienen «nationale», gesamtschweizerische Identifikationsfiguren zur Rechtfertigung der jeweils neuen Ordnung: 1798 sind es Tell und der tugendhafte «homo alpinus» (Christoph Guggenbühl), 1854 werden - wie gerufen - die «einfachen, egalitären und demokratischen» Pfahlbauer entdeckt und zu Urvätern der Nation befördert (Marc-Antoine Kaeser). Als solche werden sie im nächsten Jahrhundert auch mit wissenschaftlich zweifelhaften Theorien gegen die nationalsozialistische Instrumentalisierung verteidigt (Alexandra Rückert). Reaktion auf fremde Modelle ist auch die anhaltende Auseinandersetzung in der Armee zwischen der «nationalen Richtung», die das staatsbürgerliche Ideal in einer von Frankreich inspirierten «nation armée» hochhält, und Ulrich Willes «neuer Richtung», die nach preussischem Vorbild den effizienten Befehlsempfänger erdrillen will (Rudolf Jaun). Während bei solchen Themen manche Parallele zu ausländischen Entwicklungen deutlich wird, zeigen sich anderswo auch die Unterschiede: Das föderalistische Schulsystem belässt ausgerechnet den Geschichts- und Geographieunterricht weitgehend im kantonalen Rahmen (Lucien Criblez/Rita Hofstetter), und einem vom Bundesrat geplanten «Pantheon» berühmter Schweizer zieht das Parlament dezentrale Projekte vor (Benedikt Hauser). Beim oft beklagten «Kantönligeist» der Schweizer kann der Nationalismus nur bedingt zur säkularen Ersatzreligion werden. Tobias Kästli: Die Schweiz - eine Republik in Europa. Geschichte des Nationalstaats seit 1798. Verlag NZZ, Zürich 1998. 538 S., Fr. 68.-. Die Erfindung der Schweiz 1848-1998. Bildentwürfe einer Nation; Sonderausstellung im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich 26. Juni bis 4. Oktober 1998. Chronos-Verlag, Zürich 1998. 576 S., Fr. 48.-. Urs Altermatt / Catherine Bosshart-Pfluger / Albert Tanner (Hrsg.): Die Konstruktion einer Nation. Nation und Nationalisierung in der Schweiz, 18.-20. Jahrhundert (Die Schweiz 1798-1998: Staat - Gesellschaft - Politik, Bd. 4). Chronos-Verlag, Zürich 1998. 296 S., Fr. 48.-. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 14.09.1998 Nr. 212 33